In dem der Reformation zum Opfer gefallenen Benediktinerkloster trafen sich im Mai 1608 die führenden Vertreter des süddeutschen Protestantismus, um ein Verteidigungsbündnis gegen die mächtig aufkommende Gegenreformation zu gründen: die protestantische Union. Und wer weiß schon, daß die Berliner Unionsstraße just auf diesen Vorgang hinweist und eben nicht auf die Parteien mit dem „C“ wie christlich im Namen.
Gastgeber war der Ansbacher Markgraf Joachim Ernst. Die Gästeliste könnte auch als „who is who“ der damaligen protestantischen Welt betrachtet werden. Wenige Tage zuvor hatten die protestantischen Reichsstände mit geharnischten Vorwürfen den Regensburger Reichstag verlassen, weil sich die katholische Seite Schritt für Schritt vom Augsburger Religionsfrieden entfernt hatte, wonach jeder Landesherr und jede freie Stadt die Wahl des Glaubens treffen durfte.
Die Teilnehmer des Bündnisses, zu dem auch die Stadt Nürnberg gehörte, versprachen sich gegenseitigen militärischen Schutz im Falle von Übergriffen Dritter. Die katholische Seite antwortete übrigens 1609 mit Gründung der «Liga“. Die militärischen Lager für den späteren Dreißigjährigen Krieg waren hiermit gebildet.
Solche und ähnliche Begebenheiten hat der Journalist Thomas Greif in einem wunderbaren Bändchen «Stätten protestantischer Geschichte in Bayern“ zusammengetragen. Es könnte ein Vademecum für Sonntagsausflüge oder Wochenendreisen zu 40 Zielen besonderer Art sein. Denn wer weiß schon, daß die erste neu gebaute lutherische Kirche der Welt in Neuburg an der Donau entstand.
Pfalzgraf Ottheinrich hat sie noch als Katholik in Auftrag gegeben; doch nach einem inneren Wandlungsprozeß führte er 1542 in seinem Land die Reformation ein. Aus Nürnberg kam Alexander Osiander, der predigte drei Wochen lang in Neuburg. Der Übertritt zum neuen Glauben ging einher mit der Fertigstellung der Schloßkapelle, die wegen ihrer opulenten Ausmalung die «Bayerische Sixtina“ genannt wird. 1614 kommt dann die Gegenreformation über Neuburg. Die Malereien werden übertüncht, was ein Glück bedeutet. Denn so haben sie sich bis in die heutige Zeit erhalten.
Am spannendsten, weiß der gelernte Historiker Greif, ist Geschichte dann, wenn sie sich nicht greifen läßt. So geht er den Lutherlegenden in Franken und der Oberpfalz nach. In diversen Orten habe Martin Luther auf seinem Weg nach Worms oder zu anderen Gelegenheiten gepredigt. In Muggendorf (Landkreis Forchheim) zum Beispiel gibt es den Flurnamen «Stille Wiese“. Die Bezeichnung rührt angeblich von der überraschenden Ankunft Luthers während einer ausgelassenen Kirchweihfeier im Ort her. Als der Reformator auf freiem Feld zu predigen begann, sei eine tiefe Stille eingekehrt. 1540 soll das gewesen sein, dabei hatte Luther nachweislich nach 1521 Sachsen und Anhalt nicht mehr verlassen.
Lesenswert auch die Geschichte des Hesselbergs, wo einst im Dritten Reich Aufmärsche mit bis zu 100 000 Personen geeiert wurden. Schon bald nach Kriegsende sollte anstelle einer Tempelstätte des Neuheidentums der Berg im wahrsten Sinne des Wortes getauft werden. 1951 kam der heute umstrittene Landesbischof Hans Meiser auf den Berg, um die Evangelische Landvolkshochschule offiziell zu eröffnen. Tausende von Gläubigen zählt Jahr für Jahr der Kirchentag auf dem Hesselberg.
Raimund Kirch - Altmühl-Bote vom 10.11.2006