400 Jahre Protestantische Union
Augsburg, Prag, Auhausen
Warum ein schwäbisches Klosterdorf einen Platz in der "Enzyclopædia Britannica" hat - Markstein 1608
Die einstige Klosterkirche abseits der Verkehrswege, vergessen zwischen Wiesen und Scheunen gelegen, der Ortsname in vielen Büchern falsch geschrieben: Auhausen an der Wörnitz ist die wahrscheinlich am meisten unterschätzte Stätte protestantischer Geschichte in Bayern.
Dabei wurde hier deutsche, ja, europäische Geschichte geschrieben, als nämlich im Mai 1608 in Auhausen (und weder in Ahausen, Anhausen, noch in Aufhausen) führende Vertreter der protestantischen Fürstenhäuser zusammenkamen, um ein Verteidigungsbündnis gegen die machtvoll aufstrebende katholische Gegenreformation zu schmieden: die "Protestantische Union", der entscheidende Markstein reformatorischer Geschichte zwischen Augsburger Religionsfrieden und Prager Fenstersturz, der Auhausen bis heute - unter anderem - eine Erwähnung in der "Encyclopædia Britannica" beschert. Auch die "Unionstraße" im Zentrum von Berlin verdankt ihren Namen dem schwäbischen Dorf.
Dabei war doch Auhausens große Zeit zu Beginn des 17. Jahrhunderts längst vorbei: Das seit 1138 bezeugte Benediktinerkloster war der Reformation zum Opfer gefallen und zum markgräflichen Klosterverwaltungsamt herabgesunken. Um so größere Augen werden die Rieser Bauern gemacht haben, als Anfang Mai 1608 fremdes, hochherrschaftliches Volk, Soldaten, Kanzleischreiber, Geistliche, Diener und Handwerker im Dorf erschien, um die damals noch reich vorhandenen einstigen Klostergebäude zu beziehen und für die Ankunft noch höherer Herrschaften vorzubereiten.
Die beschauliche Stille des gewesenen Klosters war dem geschäftigen Treiben eines gut bewachten Gipfeltreffens gewichen, als am Morgen des 12. Mai 1608 im Konventsaal Christian von Anhalt-Bernburg die Tagung eröffnete, kurpfälzischer Statthalter in der Oberpfalz, Leiter der kurpfälzischen Politik und überhaupt der in jenen Jahren umtriebigste Kopf unter den protestantischen Reichsfürsten.
Die Teilnehmerliste liest sich wie das "who is who" des süddeutschen Protestantismus: Als Gastgeber war der Ansbacher Markgraf Joachim Ernst zugegen, mit ihm sein Bruder Christian, Markgraf von Brandenburg-Bayreuth; Markgraf Georg Friedrich von Baden war ebenso persönlich anwesend wie der württembergische Herzog Johann Friedrich. Aus dem nahen Pfalz-Neuburg war Herzogsohn Wolfgang Wilhelm erschienen.
Zehn Stunden täglich verhandelten die Fürsten höchstselbst, um am 16. Mai vor Ort das letzte von mehreren Abkommen zu unterzeichnen - eine Leistung, die eingedenk der noch heute üblichen Langwierigkeit diplomatischer Händel nicht anders als herkulisch genannt werden kann. »Die Eintracht und Nachgiebigkeit unter den Fürsten war eine ungewöhnliche; man vermochte fast alle Fragen, über die man so viele Jahre gestritten hatte, im Lauf von fünf Tagen zu erledigen«, schrieb der Historiker Moriz Ritter 1873 in seinem bis heute gültigen Standardwerk über die "Geschichte der deutschen Union".
Zum ersten Mal seit dem Schmalkaldener Bund hatten sich die deutschen Protestanten zu einem Bündnis zusammengefunden, das von einer großräumigen politischen Strategie getragen war. Seit dem Augsburger Religionsfrieden war das Verhältnis zwischen den Konfessionen abgekühlt: Vom »Kölner Krieg« von 1583 bis zur Besetzung der Stadt Donauwörth durch den Baiernherzog Maximilian 1607 tat sich ein Konfliktherd nach dem anderen auf. Die Spannungen entluden sich - vorerst noch auf diplomatischer Ebene - auf dem Regensburger Reichstag, den die protestantischen Reichsstände am 27. April 1608 unter Protest verließen, weil sich die katholische Seite gegen eine Neubestätigung des Religionsfriedens gewehrt hatte.
Schon drei Wochen später war das Bündnis geschmiedet, dem sich später noch eine Reihe weiterer evangelischer Reichsstände anschloß, darunter Graf Ludwig von Oettingen und die Reichsstadt Nürnberg. Die Unterzeichner versprachen sich gegenseitigen militärischen Schutz im Falle von Übergriffen Dritter (wie im Falle von Donauwörth geschehen) - die Union war als reines Defensivbündnis angelegt. Die katholische Seite antwortete 1609 mit der Gründung der »Liga«. Die militärische Ausgangslage für den Dreißigjährigen Krieg war eingenommen. Der hatte kaum begonnen, als sich die Union übrigens wieder auflöste - die Interessen der protestantischen Reichsstände hatten sich als zu vielfältig erwiesen.
Von Auhausen redete da schon lang niemand mehr. 1680 brannten Teile des ehemaligen Klosters ab; ab 1818 besorgten die Grafen von Oettingen-Spielberg, seit kurzem Besitzer, den Abbruch der restlichen Gebäude. Wer sich heute bei einem Umgang um die Kirche die unterschiedlichsten Blickwinkel auf die Giebellandschaft des Klosterdorfes gönnt, wer schließlich die dreischiffige romanische Basilika mit ihren beiden mächtigen Westtürmen betritt, vermeint noch heute den Atem des Mittelalters zu spüren: "Da ist was geblieben von dem Besonderen", freut sich Pfarrer Matthias Knoch. Das "Halleluja", das er anstimmt, kommt aus dem Gewölbe als erhebender benediktinischer Mönchsgesang zurück.
Der gotische Hochchor mit dem Altar des berühmten Meisters Hans Schäufelin gibt einen Hinweis auf die Blütezeit unter dem letzten Abt Georg Truchseß von Wetzhausen. Eine kurze Blüte allerdings, die im Bauernkrieg von 1525 ihr jähes Ende fand. Von den Zerstörungen - die abgeschlagenen Nasen im Chorgestühl sind bis heute zu sehen - hat sich die Abtei nie mehr erholt.
2008 wird nun das Gedenkjahr zur 400-jährigen Wiederkehr jener Union, die Auhausen für einen kurzen Moment in die Mitte der europäischen Politik katapultierte … .