400 Jahre Protestantische Union
Ein Dorf im Fokus Europas - oder "Die vergebene Chance"
Vor 400 Jahren wurde in Auhausen im Ries die "Protestantische Union" gegründet
Das Wetterleuchten des Großen Krieges lag über dem Horizont; im Heiligen Römischen Reich jagte eine Krise die andere, und jede hatte irgend etwas mit der Konfession zu tun. Vor 400 Jahren, am 14. Mai 1608, gründeten sechs bedeutende Reichsfürsten im schwäbisch-fränkischen Auhausen die „Protestantische Union“, und auf einmal tat sich für den deutschen Protestantismus eine gewaltige politische Option auf, die das Zeug hatte, die Zeitläufe in Europa entscheidend zu beeinflussen. Ort des Geschehens: ein stattliches ehemaliges Benediktinerkloster im Ries: Auhausen. Doch die Geschichte des » G6 « von Auhausen ist die Geschichte eines Scheiterns. Und auch oder vielleicht gerade ihr Scheitern macht die Union heute bemerkenswert.
Mag auch „Auhausen“ als Stichwort in der enzyclopaedia britannica verzeichnet sein, mag in Berlin eine „Unionstraße“ existieren: Das Bündnis von 1608 spielt im historischen Gedächtnis der Nation keine Rolle mehr. Die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg hat dessen Vorgeschichte weitgehend zugedeckt. Bis vor kurzem stammte die aktuellste historische Darstellung der Auhauser Ereignisse aus dem Jahr 1873.
Es stimmt, die „Protestantische Union“ endete schon 1621, 13 Jahre nach ihrer Gründung, ohne jemals recht in Tritt gekommen zu sein. Sie war mit großen Ambitionen gestartet, aber sie blieb ein zahnloser Papiertiger. Die Verteidigung des deutschen Protestantismus, die man sich auf die Fahnen geschrieben hatte, mußte Jahre später der Schwedenkönig Gustav II. Adolf übernehmen. Aber: Das alles konnte anno 1608 niemand absehen. Das Bündnis von Auhausen war damals ein diplomatischer Paukenschlag, der bis nach London, Paris und Rom hallte. Und auch oder vielleicht gerade ihr Scheitern macht die Union bis heute bedenkenswert.
Ein Rückblick: 1555 hatten sich die deutschen Konfessionsparteien nach jahrzehntelangen zermürbenden Auseinandersetzungen auf einen brüchigen Waffenstillstand geeinigt – den „Augsburger Religionsfrieden“. Daß er tatsächlich einige Jahrzehnte hielt, hatte weniger mit der Deutlichkeit der Vertragsformulierungen zu tun – die waren, im Gegenteil, vielfach so gefaßt, daß sich jeder seine eigene Wahrheit herauslesen konnte –, sondern mit der persönlichen Kriegsmüdigkeit der Protagonisten.
Schon eine Generation später ging der Streit, vielfach mit Waffengewalt ausgetragen, wieder von vorn los. Während sich der Protestantismus in Mittel- und Norddeutschland fast flächendeckend ausbreitete, formierte sich im Süden die katholische Gegenreformation. In der mehrheitlich evangelischen Reichsstadt Donauwörth erreichten die wechselseitigen Nadelstiche im Jahr 1607 einen neuen Eskalationsgipfel: Weil eine katholische Prozession mit Fäusten und Mistgabeln am Zug durch die Stadt gehindert worden war, setzte die katholische Partei in nie erwarteter Schnelligkeit die Hebel des Reichsrechtes in Bewegung. Der Baiernherzog Maximilian besetzte mit einem zweifelhaften Mandat des Kaisers in der Tasche die Stadt und verleibte sie de facto seinem Herzogtum ein, Rekatholisierung inbegriffen.
Die Protestanten schäumten und verlangten auf dem Regensburger Reichstag von 1608 die Bestätigung des Augsburger Religionsfriedens. Die Katholiken antworteten mit der Forderung nach Rückgabe aller seit 1555 evangelisch gewordenen Gebiete – für viele protestantische Herrschaften eine Existenzfrage. Die Protestanten ließen den Reichstag platzen. Damit war auch das letzte noch funktionsfähige Reichsorgan außer Kraft gesetzt.
Unter den evangelischen Fürsten in Süddeutschland, die sich durch den kraftstrotzenden Baiernherzog und das habsburgische Kaiserhaus ganz unmittelbar bedroht fühlten, setzte eine rege Hintergrunddiplomatie ein. Christian von Anhalt, enger Berater und späterer Kanzler des pfälzischen Kurfürsten Friedrich IV., witterte Gefahr für die Oberpfalz, die er seit 1595 als pfälzischer Statthalter regierte. Er begann, Pläne für eine Oberpfälzer „Landrettung“ zu schmieden, womit ein Bündnis mit den dortigen protestantischen Nachbarn, vor allem dem Markgrafen von Ansbach, gemeint war.
Doch schnell sprangen andere auf den Zug auf: Die Neuburger, die Württemberger, die Kulmbacher, die Badener. Die Bedrohung schien übermächtig: „Man glaubte sich einer grandiosen, von Rom und Madrid gesteuerten Verschwörung zur Vernichtung des Protestantismus schlechthin ausgesetzt“, urteilt der Würzburger Historiker Hans- Wolfgang Bergerhausen.
Was jahrzehntelang – nämlich seit den Zeiten von Schmalkalden – vergeblich debattiert worden war, ein umfassendes protestantisches Bündnis im Reich nämlich, konnte plötzlich binnen Wochen gedeihen.
Christian von Anhalt schrieb nach Ansbach, man möge doch „in Roth, Aurhausen oder sonsten inn derselben Gegend in der Person erscheinen“. Damit es Herzog Philipp Ludwig von Neuburg nicht so weit hatte, traf man sich schließlich im südlichsten Zipfel der Ansbacher Markgrafschaft, im ehemaligen Benediktinerkloster Auhausen, dessen damals noch vorhandenes Konventgebäude einen halbwegs standesgemäßen Verhandlungsort abgeben konnte. Das Geheimnis der Ortswahl von Auhausen hat der Erlanger Historiker Axel Gotthard erst im Zuge der Vorbereitungen der Gedenkwoche gelüftet.
Markgraf Joachim Ernst hatte seine blaublütigen Gesprächspartner zwar noch gewarnt, die Herren sollten „wegen des schlechtten ortts mit sovil weniger leuten einkommen“, doch das hinderte etwa den Neuburger nicht, allein 28 Kutschen gen Auhausen in Bewegung zu setzen. Allein das Gefolge des Ansbacher Markgrafen zählte rund 70 Leute.
In Auhausen verhandelten die Fürsten (mit Ausnahme des Kurpfälzers, der durch Christian von Anhalt vertreten wurde) persönlich, und zwar „mit eiffer und fleiß, fast alle morgen von sieben ure bis nach den elfen un nachmittags von zwei ur bis nach den achten“ – eine herkulische Leistung, die das akute Bedrohungsgefühl der Versammelten wahrscheinlich am deutlichsten macht. Nach unglaublich kurzen vier Tagen wurde die Gründungsakte der Union unterzeichnet. Die Mitglieder der Union sicherten sich darin gegenseitigen militärischen Beistand im V-Fall zu: Das Auhauser Bündnis hatte defensiven Charakter. Ein Jahr später bildeten die Katholiken in München die „Liga“ – die politischen Gefechtsstationen waren eingenommen.
Freilich, die Union krankte an einigen Geburtsfehlern. Es gelang ihr nie, wesentlich über Süddeutschland hinauszugreifen. Ihren Höchststand an Mitgliedern erreichte sie 1610 mit 29 Reichsständen; unter denen fehlten aber fast alle mittel- und norddeutschen Mächte, insbesondere das kaisertreue Kursachsen, dessen Räte von sich selber sagten: „politice sein wir Bäpstisch.“ Reichsstädte wie Nürnberg, Ulm oder Straßburg schlossen sich dem Bund mit gemischten Gefühlen an, weil sie spürten, daß sie nur als Zahlmeister benötigt wurden. Gravierender aber noch war das wesensverschiedene Grundverständnis der calvinistischen und der lutherischen Mitglieder. Die Calvinisten mit dem Kurfürst von der Pfalz an der Spitze dachten in europäischen Zusammenhängen und suchten die Lösung der dräuenden Konflikte, notfalls mit Gewalt. Die Lutheraner bremsten. „Calvinistischer Aktionismus und Internationalismus standen neben lutherischem Regionalismus und Legalismus“, hat Bergerhausen festgestellt.
Als 1618 mit dem Prager Fenstersturz der ganz große Konflikt ausbrach, befand sich die Union bereits in Agonie. Nur einen Winter lang konnte sich der pfälzische Kurfürst Friedrich V. an der böhmischen Königskrone freuen: Die formal von ihm geführte Union schloß 1620 in Ulm einen Nichtangriffspakt mit dem Baiernherzog Maximilian und löste sich ein Jahr später unter spanisch-französischem Druck auf. „Wer sich salvieren könnt, sollts thun“, schrieben die Kanzleidiplomaten: Rette sich, wer kann.
Es brauchte 30 entsetzliche Kriegsjahre, damit die europäischen Herrschaften schließlich doch noch auf den Trichter kamen, den die gemäßigten Kräfte innerhalb der Union schon eine Generation zuvor verfochten hatten: die Streitfragen nämlich in einer Art „rundem Tisch“ zu besprechen, ohne dabei gleich von vornherein andere Meinungen niederzustimmen. Dieser Tisch stand dann in Münster und Osnabrück – an ihm wurde der „Westfälische Friede“ ausgehandelt, der den Protestanten vieles von dem zugestand, was sie zu Auhauser Zeiten schon gefordert hatten.